Anästhesie: Schmerz beim Klein- und Heimtier: Schmerzen erkennen und beurteilen - der Schlüssel zum Therapieerfolg
erstellt am 7. Juni 2022
Die Beurteilung der Schmerzstärke des Patienten stellt Tierärzte häufig vor eine Herausforderung.
Bei Hunden bestehen enorme individuelle und rasseabhängige Schmerzunterschiede (Chihuahua vs. Staffordshire Terrier bzw. kleiner Hund vs. großer Hund).
Katzen äußern Schmerzen und Unwohlsein neben Änderungen im Bewegungsmuster häufig durch Aggressionsverhalten oder vermehrten Rückzug.
Grundsätzlich können bei allen Tierarten Abweichungen vom Normalverhalten Anzeichen von Schmerz sein
Berichtet der Besitzer also von fehlenden (z.B. ausbleibendes Springen oder Fellpflege) oder neu hinzugekommenen (negativen) Verhaltensmustern, sollte Schmerz als mögliche Ursache bedacht werden.
Zur Beurteilung sollte der Tierbesitzer möglichst mit ins Boot geholt werden, denn dieser beobachtet- im Optimalfall- sein Haustier ganz genau und kann Veränderungen sehen, die in der klinischen Untersuchung nicht festzustellen sind → Anamnese!
Zu Bedenken ist jedoch, dass chronische Schmerzen sich meist langsam einschleichen (Schmerzgedächtnis!) und Verhaltensänderungen dadurch nicht plötzlich sondern auch mit der Zeit kommen und so gerne bspw. “auf das Alter” geschoben werden. Im Sinne dieser Patienten sollte immer eine Schmerzabklärung und ggf. die therapeutische Diagnostik mit Analgetika erfolgen.
Beurteilung von Schmerz
Neben der Bestimmung der Schmerzart (visceral, somatisch oder neuropathisch) bedarf es zur Auswahl und Dosierung einer wirksamen Schmerztherapie zudem einer möglichst adäquaten Beurteilung der Schmerzstärke. Hierfür wurden wissenschaftlich anerkannte Skalen evaluiert:
Katzen:
- Feline Glasgow Composite Measure Pain Scale
- Feline Grimace Scale - für akuten Schmerz - das “Schmerzgesicht” der Katze: www.felinegrimacescale.com. Auch für den Tierbesitzer geeignet.
Diese beiden sind die meistgenutzten Skalen für die Schmerzbeurteilung bei der Katze.
Als Ergänzung neben der klinischen Untersuchung, beispielsweise bei hospitalisierten Patienten (Trauma, Internistik…), postoperativ oder als Therapiekontrolle können diese unterstützend eingesetzt werden.
Weitere Skalen:
- Feline Acute Pain Scale der Universität Colorado (CSU-FAPS), USA
- "Feline Musculoskeletal Pain Index (FMPI)” der Universität North Carolina, USA - für die Anwendung durch den Patientenbesitzer bei chronischen Gelenkerkrankungen.
Hunde:
- Glasgow Composite Measure Pain Scale: Zur Beurteilung des akuten Schmerzes, beispielsweise postoperativ (nach Wirkungsende einer Allgemeinanästhesie). Der Einsatz von Analgetika wird ab einem Schmerz Score von 5/20 (Mobilität kann nicht beurteilt werden) bzw. 6/24 (Mobilität kann beurteilt werden) empfohlen bzw. auch bei einem geringeren Punktsatz, wenn der Hund klinisch schmerzhaft erscheint!
Wichtig zur Beurteilung der Wirkung eines Analgetikums: Dauer des Wirkungseintritts beachten! Diese Kalkulation ist für eine sinnvolle Schmerzabdeckung sowohl prä-, intra- als auch postoperativ besonders wichtig.
Weitere Skalen:
- Canine Acute Pain Scale der Universität Colorado, USA.
- Helsinki chronic pain index: Zur Beurteilung chronischer Schmerzen, vor allem bei Osteoarthritis.
- Canine Brief Pain Inventory (CBPI): Bewertungssystem für den Patientenbesitzer zur Beurteilung chronischer Schmerzen bei Osteoarthrose und dient der Kontrolle des Therapieerfolges (Download: https://www.vet.upenn.edu/research/clinical-trials-vcic/our-services/pennchart/cbpi-tool).
Heimtiere
Auch für Mäuse, Ratten und Kaninchen, deren Allgemeinzustand häufig im Rahmen von Tierversuchen beurteilt werden muss, wurden Grimace Scales entwickelt. Diese sind u.a. unter folgendem Link zum freien Download verfügbar: https://nc3rs.org.uk/3rs-resources/grimace-scales
Eine weitere Hilfestellung zur Einordnung des Schweregrades gibt zudem die ITIS (Initiative tiermedizinische Schmerztherapie), dort finden sich neben Kriterien für Hund und Katze auch Empfehlungen zur Beurteilung von Schmerzen bei Heimtieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien!
Kardiopulmonale, neuroendokrine oder andere Laborwerte eignen sich nach heutigem Kenntnisstand nicht zur Beurteilung von Schmerz, da zu viele Einflussfaktoren vorliegen und es bislang keinen Langzeitwert gibt, welcher tatsächlich aussagekräftig ist
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Julia BrünerEin interessanter Beitrag. Teile ihn jetzt mit deinem Netzwerk.