Die Stellung des Tierarztes in unserer Gesellschaft – vom „Abzocker“ zum „Allwissenden“?
Es ist Samstagabend. Geburtstagfeier bei Freunden. Ein paar unbekannte Gesichter sind auch eingeladen. Schnell kommt man ins Gespräch. „Und, was machst du so?“ „Ich studiere Tiermedizin.“ „Wow, das ist ja interessant. Das ist ja sicherlich nicht einfach. Bestimmt ein abwechslungsreicher Job. Und machst du dich dann selbstständig?“…
So oder ähnlich verliefen bisher alle Gespräche dieser Art, in denen es um meinen Beruf ging. Stets erhielt ich positives Feedback, erhielt den Eindruck, Tierarzt zu sein ist in unserer Gesellschaft ein angesehener Beruf. Auch von Leuten, die vielleicht selber keine Tiere haben und trotzdem Anerkennung für die akademische Ausbildung zeigen.
Der perfekte Tierarzt = All‘ Zeit bereit, weiß über alles Bescheid und kostet dabei „nichts“.
Allmählich bekommt man aber den Eindruck, es geht ein Wandel durch die Gesellschaft, der nicht gerade positiv und reflektierend verläuft. Immer öfter werden Tierärzte angeprangert und immer mehr verschiebt sich scheinbar die Sichtweise der Leute.
Ein Tierarztbesuch darf „nichts“ kosten. Es wird akribisch verglichen, wer „zu viel“ nimmt. Außerdem muss der Tierarzt zu jeder Tages- und Nachtzeit, an Wochenenden und Feiertagen zur Verfügung stehen.
Er macht es ja schließlich aus Liebe zum Tier.
Mensch sein darf man eigentlich nicht, so bekommt man das Gefühl: nicht in den Urlaub fahren, nicht krank werden, vor allem keine falschen Entscheidung treffen. Eigene Rechnungen, Mitarbeiter, Essen darf man scheinbar auch nicht bezahlen können, denn dann zieht man den Leuten „das Geld aus der Tasche“.
Man macht den Beruf ja schließlich aus Liebe zum Tier.
Aber nicht nur im anonymen Internet herrschen „neumodische“ Meinungen. Erst kürzlich wurde ich von einer Patientenbesitzerin im Notdienst angemault, warum ich nicht wisse, was rot gebeizter Mais ist und was dieser in ihrem Hund für Auswirkungen hat. Von einem Tierarzt hätte sie erwartet, dass dieser so etwas weiß. Wozu hat er schließlich studiert.
Allwissend muss man also auch sein.
(Als Stadtkind entschuldige ich mich hiermit förmlich, noch nie etwas von rot gebeiztem Mais gehört zu haben. Selbstverständlich habe ich mich diesbezüglich umgehend informiert. Und die Dame auch. Kostenfrei im Notdienst selbstverständlich.)
Noch schlimmer als diejenigen, die den Tierarzt als selbstverständlich und seine Arbeit als Ehrenamt sehen, ist in meinen Augen die ganz öffentliche Hetze in den Medien, die nun auch unsere Berufsgruppe zu erreichen scheint. Angefangen von einschlägigen Gruppen, die behaupten, Tierärzte würden nur impfen um die Tiere krank zu machen und anschließend daran Geld zu verdienen, bis hin zu öffentlich-rechtlichen Sendern, die durch einen schlecht recherchierten Beitrag eine ganze Berufsgruppe schlecht dastehen lassen.
Tierärzte = Abzocker?
Aktuelles Beispiel ist der Beitrag „Haustiere als Patienten: Wie Tierärzte Kasse machen“ des ARD Magazins „Plusminus“. Ein Wirtschaftsmagazin, welches bekannt ist für seine vielfältigen Themen, hat sich nun der „Abzocker-Tierärzte“ angenommen. Es testet mehrere Tierärzte und deren Kostenaufstellung in verschiedenen Bereichen (z.B. Impfen, Behandlung einer Dackellähme) und gibt zuvor an, wie viel diese Posten kosten dürften. Heraus kommt das Bild eines Abzockers, ein Tierarzt der 20€ mehr verlangt als die Plusminus-Redaktion angibt? Wie kann das bitte sein?
Großer Aufschrei von allen Seiten in den öffentlichen Medien!
Leider finden sich durch vielleicht gar nicht schlechte Recherche, aber auf jeden Fall durch falsche Darstellung Fehler in diesem Beitrag, die ein Laie so überhaupt nicht auf den ersten Blick erkennen kann:
So ließ die Plusminus-Redaktion nicht nur die Mehrwertsteuer (für die die Tierärzte ja nun wirklich nichts können) unter den Tisch fallen, auch die einzelnen Posten der Impfung wurden mit dem Kommentar „Aber das Spritze setzen dauert doch nur 10 Sekunden“ einfach wegradiert – deswegen dürfte der Tierarzt diese doch nicht abrechnen. Das der Impfung noch eine allgemeine Untersuchung vorausgeht, um die Gesundheit des Tieres bescheinigen zu können, die Impfung an sich, Materialkosten und die Ausstellung des Impfpasses werden verschwiegen. Der Tierarzt darf nichts an der Impfung verdienen. Impfen von seltenen Krankheiten (die ja eigentlich nur noch so selten sind, weil sie eben regelmäßig geimpft worden sind…) ist in den Augen des dort zitierten Tierarztes überflüssig. Angeprangert wird stets die sogenannte 6fach-Impfung, die meiner Erfahrung nach von keinem Tierarzt den ich kenne in dieser Form noch praktiziert wird. Es erfolgt ein individuelles Impfschema, orientiert an den Impfempfehlungen der Stiko Vet und den Empfehlungen der Impfhersteller. Viele Tierärzte bieten auch Titerbestimmungen an, um einen ausreichenenden Impfschutz gewährleisten zu können. Aber auch dies wird von der Redaktion pauschalisiert, ebenso wie die individuelle Behandlung einer nicht fressenden Katze oder eines Hundes mit Dackellähme. Alles darf nichts kosten, aber das Wissen muss vorhanden sein?!
Ein kleiner Denkanstoß für Patientenbesitzer
Die Tiermedizin hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm weiterentwickelt. Chemotherapien, Wirbelsäulen-OPs oder Herzkatheter- Untersuchungen bei Tieren sind zwar nach wie vor nicht die Standardbehandlung aber auch nicht mehr neu auf dem Markt. Die Tiermedizin steht der Humanmedizin in nichts nach was die Diagnostik und Therapie der vierbeinigen Familienmitglieder angeht. Der Unterschied zum Humanmediziner: Die Mehrheit unserer Patienten sind „privatversichert“.
Krankenversicherungen für Tiere gibt es zwar inzwischen auch, wird aber nur von einem Bruchteil der Patientenbesitzer genutzt. So erhält der Kunde stets die Rechnung und hat die vollen Kosten aus eigener Tasche zu bezahlen. Sicherlich muss da der ein oder andere schlucken und versteht die hohen Kosten nicht – wie auch, für ihn übernimmt das ja seine Krankenkasse. Fragen wir doch mal die privatversicherten Personen unter uns, wie viel so eine Behandlung beim Allgemeinmediziner/Facharzt oder gar ein operativer Eingriff kostet? Wie viel würde man selber beim Humanmediziner zahlen, wenn man keine Krankenversicherung hätte? Und warum muss man sich als Tierarzt für jeden einzelnen Posten und 1€ Materialkosten rechtfertigen, beim Zahnarzt wird diese Rechnung aber so hingenommen?
Die Stimmung in den öffentlichen Medien gegen Tierärzte ist zurzeit sehr bedrückend.
Es geht nicht darum, keine Kritik äußeren zu dürfen und sicherlich gibt’s auch die schwarzen Schafe unter den Tierärzten ebenso wie es zufriedene und nette Patientenbesitzer gibt, die ihren Tierarzt sehr schätzen. Aber so schlecht recherchierte Beiträge wie dieser von der Redaktion „Plusminus“ sind in meinen Augen absolut kontraproduktiv und lediglich Sensationsjournalismus.
Wobei man sich sicherlich auch fragen muss, ob man so einen Beitrag wirklich ernst nehmen darf, wenn man die Antwort der Redaktion auf entsprechende Kritik aus dem Kollegenkreis liest:
„Ihren Verweis auf die neuen, teureren Behandlungsmethoden in der Tiermedizin können wir nachvollziehen, wir geben jedoch zu bedenken: Es handelt sich hier um Tiere. Ihr Leben ist weniger wert als dass eines Menschen, weshalb teure Behandlungsmethoden nicht zwingend erforderlich sind.“
Ich bin gerne Tierärztin!
Wie gut, dass es Menschen außerhalb dieser Redaktion gibt, die dies anders sehen. Die jedes Leben als wertvoll betrachten, ob das eines Menschen oder eines Tieres, sei es klein wie ein Hamster oder eine Maus oder groß wie ein Elefant, sei es ein Familienmitglied, ein Beschützer, ein Kollege oder ein Nutztier.
Wie gut, dass es Menschen gibt, die sich das Wohl dieser Geschöpfe angenommen haben und täglich für deren Gesundheit einsetzen.
Über die Autorin:
Katharina Meyer: Tierärztin
Frau Meyer lebt in Berlin und wuchs mit zahlreichen Kaninchen, Hunden und Pferden auf. Die Liebe zu den Tieren aber vor allem das Interesse an der Medizin führte sie schließlich in die Kleintierpraxis, in der sie zunächst eine Ausbildung zur Tiermedizinischen Fachangestellten begann, bevor sie für das Studium an der Freien Universität Berlin zugelassen wurde. Dieses beendete sie im Februar 2017 mit dem Examen. Während des Studiums arbeitete sie in unterschiedlichen Tätigkeiten– zum Beispiel bei einem Mobilen Tiernotdienst sowie als Promoterin für verschiedene Firmen – und absolvierte zahlreiche Praktika um in die diversen Bereiche der Veterinärmedizin hineinzuschnuppern. Eben diese zahlreichen Möglichkeiten, die es einem ermöglichen als Tierarzt in den verschiedensten Bereichen zu arbeiten, fasziniert sie so an diesem Beruf und machen ihn zu ihrem Traumberuf.