Keep calm and Brexit – Wie geht es weiter für Tierärzte im Brexit?
Die Zeit rennt: Am 29. März 2019 wird Großbritannien die Europäische Union verlassen. Fast drei Jahre nach der knappen Entscheidung der Briten für den Brexit gibt es noch immer keine Gewissheit, ob es der britischen Regierung gelingen wird, rechtzeitig ein Abkommen mit der EU zu unterzeichnen, das die künftigen Beziehungen regeln soll.
Europäische Tierärzte in Großbritannien sind verunsichert. Im Worst Case findet ein „No Deal-Brexit“ statt – mit einschneidenden Konsequenzen, auch für die Tiermedizin.
Wie wahrscheinlich ist der No Deal-Brexit?
Nachdem Premierministerin Mays Brexit-Deal im Januar 2019 im britischen Parlament scheiterte, stehen die Chancen für einen weichen Brexit immer schlechter. Der Deal sah ab dem Austrittsdatum eine Übergangsphase bis zum Ende 2020 vor, in welcher sich am Status quo zunächst kaum etwas ändern würde.
Am 12. März soll nun wiederholt über das bereits vorgestellte Austrittsabkommen abgestimmt werden. Erhält es erneut keine Mehrheit (was durchaus wahrscheinlich ist), gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder es kommt zum No Deal-Brexit oder es muss eine Verschiebung des Austrittstermins bei der EU erbeten werden.
Freizügigkeitsrecht für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nicht bedroht
Sollte es tatsächlich zum sogenannten harten Brexit kommen, erhält Großbritannien den Status eines Drittlandes. Damit müssen Zoll- und Passkontrollen wieder eingeführt werden – was zu starken Staus und Lieferengpässen führen könnte.
Um ihre Bürgerrechte brauchen sich EU-Bürger in der UK laut der Premierministerin keine Sorgen machen. Im vergangenen Jahr verkündete May: “First, there are over 3 million EU citizens living in the UK […] I want to be clear with you that even in the event of no deal your rights will be protected. You are our friends, our neighbours, our colleagues. We want you to stay.“
Auch in den Verhandlungsleitlinien des europäischen Rates wurde verankert, dass der Status und die Rechte europäischer Einwanderer in Großbritannien erhalten bleiben sollen.
„Veterinary workforce“ in Großbritannien zu großen Teilen von EU-Absolventen abhängig
Für die Tiermedizin in Großbritannien sind die europäischen Absolventen ein wesentlicher Faktor. Ca. 50% der Veterinary Surgeons in Großbritannien haben ihren EU-Abschluss außerhalb des Vereinigten Königreichs erworben. Im Bereich der Lebensmittelhygiene stammen sogar 95% der Arbeitskräfte aus dem Ausland, der größte Teil davon aus der EU.
Mit dem Brexit Votum 2016 ging die Zahl der einwandernden Tierärzte zurück. Die Mayor Employers Group ermittelte 2017, dass die Arbeitskraft im Bereich der Veterinary Surgeons bereits um 11% zurückging.
Erschwerend kommt hinzu, dass im Falle des No Deal-Brexit der Bedarf an Veterinären zusätzlich ansteigen würde, insbesondere um die neuen Anforderungen an den Tierverkehr zu bewältigen.
Erschwertes Reisen mit den Vierbeinern
Bisher ist ungewiss, welche Reisevorbereitungen zukünftig nötig sein werden, um seine vierbeinigen Freunde mit über die Grenze zu nehmen. Erhält Großbritannien den Status eines Drittlandes, benötigen Tiere zusätzliche Papiere um in die EU einzureisen. Dazu gehört für Hunde und Katzen unter anderem eine Tollwut-Antikörper-Titer Bestimmung und eine Wartezeit von 3 Monaten zwischen Impfung und Reise. Tierärzte und Tierärztinnen sollten dahingehend Patientenbesitzer mit Reisevorhaben rechtzeitig beraten.
Die Einfuhr von Pferden in die EU wäre nach dem No Deal-Brexit zunächst sogar gänzlich verboten. Bis die UK gelistet wird und Pferde wieder einreisen dürfen, können mehrere Monate vergehen. Danach wird ein vermehrter Bedarf an Grenzkontrollen und entsprechendem Fachpersonal bestehen.
Engpässe in der Medikamentenversorgung
Im Falle des No Deal-Brexit kann es aufgrund der erschwerten Lieferung durchaus zu Engpässe in der Medikamentenversorgung kommen. Britischen Tierärzten wird geraten mit ihren Lieferanten über die Problematik zu sprechen – denn die meisten pharmazeutischen Unternehmen bereiten einen Notfallplan für den No Deal-Brexit vor und dürften damit gewappnet sein.
Die Zulassung von Medikamenten durch die EMA bleiben erhalten. Medikamente aus der UK, die in EU-Länder exportiert werden, werden jedoch zusätzliche Zertifizierungen und Tests benötigen. Hier kann es also doch zu Engpässen kommen.
Briten in der EU verspüren „Torschusspanik“
Die Unsicherheit, die Briten in anderen EU-Ländern verspüren, äußert sich in einer sprunghaft angestiegenen Zahl der Beantragungen einer doppelten Staatsbürgerschaft in Deutschland. Im Jahr 2015 lag die Zahl der Einbürgerungsanträge bei 622. Nach dem Brexit-Votum stieg die Zahl enorm an: Im Jahr 2017 erwarben 7.493 Briten die deutsche Staatsbürgerschaft. Was mit offenen Anträgen am Stichtag passieren wird, ist bisher ungeklärt.
Eine Umfrage des Royal Collage of Veterinary Surgeons (RCVS) ergab 2017, dass sich europäische Tierärzte in Großbritannien auch viele Gedanken um die Zukunft machten und sich weniger willkommen fühlten, jedoch keine voreiligen Entschlüsse für die Zukunft fassten. 73% der Befragten stimmten zu, dass sie trotz Brexit in der EU bleiben wollen.
Informationsmöglichkeiten für Tierärzte: British Veterinary Association
Deutsche Tierärzte in Großbritannien können sich an die Informationen der BVA (British Veterinary Association), der nationalen Vertretung des tierärztlichen Berufsstandes in der UK halten. Hier gibt es ausführliche Broschüren zum Thema „Brexit and the Veterinary Profession“ und den “No Deal Brexit and the Veterinary Profession“.
Wer sich weitergehend mit den politischen Hintergründen des Brexit beschäftigen möchte, sei an Spiegel Online verwiesen.