Mutter und praktische Tierärztin – kein einfacher Karriereweg.
Nach wie vor zählt „Tierärztin“ zu den Traumberufen vieler Mädchen. Da überrascht es nicht, dass Veterinärmedizin einer der beliebtesten Studiengänge in Deutschland mit über 80 Prozent weiblichen Studierenden ist.
Was die meisten jungen Frauen bei der Wahl ihres Studienganges jedoch nicht bedenken, ist die Tatsache, dass sich der Beruf der Tierärztin nur schwer mit der Gründung und Versorgung einer Familie vereinbaren lässt.
Wenn das lange und arbeitsintensive Studium erfolgreich abgeschlossen ist, planen die wenigsten Frauen, eines Tages ihren Job als praktizierende Tierärztin an den Nagel zu hängen und stattdessen als (hoch qualifizierte) Mutter „nur“ einen Haushalt zu führen, in andere familienfreundlichere Bereiche zu wechseln (z.B. in die Pharmaindustrie) oder gar einer berufsfremden Tätigkeit nachzugehen. Doch leider bleibt vielen Müttern keine andere Wahl…
Woran liegt das?
Die Vollzeittätigkeit wird generell vom Vater der Familie aufrechterhalten. Dass Väter nach der Geburt der Kinder in Teilzeittätigkeiten wechseln, ist eher selten, würde aber den Müttern die Chance geben, ebenfalls Vollzeit arbeiten zu können, sofern es nicht andere Möglichkeiten der Kinderbetreuung gibt, wie Nanny, Oma oder flexible Tagesmutter. Auch nach Trennungen verbleiben die Kinder häufiger bei der Mutter als beim Vater, so dass auch hier die Chance, Vollzeit arbeiten zu können, quasi auf Null fällt.
Laut einer Umfrage unter Assistenz-Tierärztinnen und -ärzten aus dem Jahre 2006 (Dissertation von B. Friederich: „Untersuchungen zur beruflichen und privaten Situation tierärztlicher Praxisassistentinnen und –assistenten in Deutschland“) arbeiten nur 20% der Tierärztinnen nach der Elternzeit wieder Vollzeit. So ist es also häufig der Fall, dass praktizierende Tierärztinnen nach Schwangerschaft, Geburt und Elternzeit nicht mehr in ihren Beruf zurückkehren oder aber in eine Teilzeitstelle wechseln.
Wie kann es sein, dass – obwohl über die Hälfte der berufstätigen Tiermediziner inzwischen weiblich ist – es immer noch so schwer ist, gleichzeitig Mutter und praktische Tierärztin zu sein?
Obwohl schon seit Jahren bekannt ist, dass es in der Tierärzteschaft zu enormen Veränderungen kommt und kommen wird und die Arbeitsbedingungen an die Situation der Frauen angepasst werden müssten, hat sich bisher nicht viel verändert. Deshalb mussten Mütter bisher kreativ sein und eigene Wege finden, um auch mit Kindern ihrer Tätigkeit als praktische Tierärztin nachgehen zu können. Hierbei spielt natürlich auch eine große Rolle, in welchem Bereich man tätig ist. Aber generell gilt: Wenn der Chef bzw. die Chefin Flexibilität beweisen, ist Einiges machbar…
Zum Beispiel…
- Das Kind wird (in Einzelfällen) zur Arbeit mitgebracht.
Wenn sich keine Betreuung für den Nachwuchs finden lässt, ist es in einigen Kleintier-Praxen/Kliniken möglich, dass Mütter ihr Kind einfach mitbringen. Gerade in unvorhersehbaren „Notfällen“ kann dies sehr hilfreich sein. Entweder das Kind darf dann dabei zusehen, wie Mama kranke Tiere behandelt, oder eine TFA passt während der Behandlung auf das Kind auf. In manchen Praxen/Kliniken gibt es sogar ein „Kinderzimmer“ oder zumindest einen Kinderbereich, in dem das Kind spielen oder sogar schlafen kann.
- Termine werden auf Zeiten gelegt, in denen die Kinder im Kindergarten/ in der Schule sind
In der Großtierpraxis ist es sicherlich schwieriger, als Mutter tätig zu sein, da eine höhere Flexibilität als im Kleintierbereich vorausgesetzt wird und man für Notfälle (z.B. Geburtshilfe) auch nachts und am Wochenende spontan einsatzbereit sein muss. In diesen Fällen hilft nur eine flexible Kinderbetreuung. Es ist aber auch in der Rinderpraxis möglich, Müttern entgegenzukommen, indem Termine, z.B. regelmäßige Routinekontrollen, auf bestimmte Tage und Zeiten gelegt werden, in denen sich die Kinder in Betreuungseinrichtungen befinden. Gut planbar sind auch die Schweine- und Geflügelpraxis.
Grenzen erkennen
Die Tiermedizin ist ein Beruf, der teilweise unvorhersehbar ist. Er ist ein Dienstleistungsberuf, in dem die Wünsche der zahlenden Kunden beachtet werden müssen. Es ist ein 365-Tage-24-Stunden-Job mit Fortbildungspflicht und der Notwendigkeit, präsent zu sein. Viele Grenzen lassen sich hier biegen, aber manche nicht brechen. Man sollte also realitätsnah in seiner Zukunftsplanung bleiben. In der Pferdepraxis z.B. muss man bedauerlicherweise sagen, dass hier eine Vereinbarkeit mit der Familie am schlechtesten durchzusetzen ist. Dies zeigt die Erfahrung vieler Kolleginnen, die sich bewusst gegen die Familie und für den Beruf / die Karriere entschieden haben.
Wer in der Tiermedizin erfolgreich Karriere machen möchte, muss sich gut überlegen, ob sich dies mit einem Kinderwunsch vereinbaren lässt. Viele Hebel können in Bewegung gesetzt werden, den tierärztlichen Beruf familienfreundlicher zu gestalten – und dies sollte auch geschehen – aber manche Barrieren sind schlicht nicht überwindbar. Leider.
In unserem nächsten Blog gehen wir auf weitere Lösungsansätze ein, um Tierärztinnen und –ärzten mit kleinen Kindern die Tätigkeit in einer Praxis/Klinik zu ermöglichen bzw. zu erleichtern.
Artikel von Tierärztin Tonia Olson
Die Autorin hat 2005 ihr Veterinärmedizin-Studium in München abgeschlossen. Bei ihrem anschließenden mehrjährigen Aufenthalt in Skandinavien war sie u.a. in einer städtischen Gemischtpraxis tätig. Nach der Elternzeit arbeitet sie nun in einer Kleintierpraxis in der Nähe von München. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder, eine Katze und einen Hund.