Vertrauen ist gut! – Teil 2: Von Empathie und Vertrauen in der Tierarzt-Patientenbesitzer-Beziehung
Ein Exkurs in die Tierarzt-Patientenbesitzer-Beziehung
Gehen Sie eigentlich gerne zum Arzt?
Ja? Herzlichen Glückwunsch, Sie gehören zu einer beneidenswerten Sorte Mensch.
Nein? Willkommen in der großen Masse. Warum ist das so?
Mit dieser Frage kommen wir zu einer für uns Mediziner recht entscheidenden soziologischen Kategorie: Vertrauen. Vertrauen ist ein Merkmal einer sozialen Beziehung, an dem mindestens zwei Akteure beteiligt sind. Diese übertragen sich „Ressourcen“ (z.B. heimliche Geschichten) in der Hoffnung -„in dem Vertrauen“-, dass der andere dieses nicht missbraucht sondern entweder eine erwartete Handlung durchführt (z.B. stillschweigt) oder bei gegebener Gelegenheit mit einer entsprechenden Ressourcen-Rückübertragung revanchiert.
Das Problem daran ist, dass einer der Akteure dabei in eine potentiell riskante „Vorleistung“ gehen muss. In Bezug auf die Tierarzt-Patientenbesitzer-Beziehung wäre das beispielsweise, dass der Patientenbesitzer dem Tierarzt sein krankes Tier übergibt, ohne möglicherweise zu wissen, welche Konsequenzen (für den Ausgang der Erkrankung, finanziell etc.) dies haben wird. Er muss darauf vertrauen, für diese „Ressourcenübergabe“ eine Gegenleistung zu bekommen. Die Gefahr dabei ist, dass der Tierarzt diese Ressource einseitig zu seinen Gunsten nutzt, um beispielsweise hohen Gewinn aus der Situation zu schlagen. In diese Situation begibt sich in der Regel niemand gern.
Was aber tun, wenn sich nun keine andere Möglichkeit ergibt? In der Regel werden wir versuchen, mehr oder weniger zuverlässige Anhaltspunkte für die Frage zu finden, ob der gewählte Mediziner wohl meines Vertrauens würdig ist. Das kann ein gut ausgelastetes Wartezimmer, eine liebevoll gestaltete Webseite oder die oft verfluchte Google-Bewertung/das Social Media-Meinungsbild sein.
Ist Vertrauen „manipulierbar“?
Ja – zumindest teilweise.
Der Schlüssel zum Vertrauen eines (fremden) Menschen liegt in der Förderung gegenseitiger Empathie. Empathie sorgt dafür, dass ein Gesprächspartner sich für das Gegenüber und seine Vorschläge öffnet und es für kompetent und vertrauenswürdig hält. Aus dieser Position erwächst die Bereitschaft, Argumente und Vorschläge anzunehmen, die vielleicht auf den ersten Blick nicht mit seiner aktuellen Meinung deckungsgleich sind.
Wer also bislang seine Impftermine eher im Schnelldurchgang erledigt hat, sollte kurz innehalten und die Frage zulassen, ob hier nicht vielleicht ein paar Minuten für persönliche Fragen gut investierte Zeit wären.
Das Empathie-Konzept kollidiert in unserem Beruf häufig damit, dass uns selbige in Studium und Arbeitswelt recht systematisch abtrainiert wird: Lern- und prüfungsintensive Lehrstrukturen erzeugen schon früh im Medizinerleben einen hohen Druck, der in der Regel nur durch Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse zu überstehen ist. Ausgeprägte hierarchische Strukturen im Lehrapparat und häufig in der Praxis erziehen eher zum Dulden und Über-Grenzen-hinaus-Funktionieren, als zum Ausleben von Emotionen. Der Verlust der Empathie (also des „Mit-Fühlens“ von guten und schlechten Emotionen) hilft sicherlich, den mentalen Belastungen des Alltags standzuhalten. Aber er birgt die Gefahr, dass sich aus dem medizinischen Blick und einem gesunden Abstand ein ärztliches Verhaltensmuster entwickelt, in dem wir nach der Empathie auch das Mitgefühl aus dem Verhaltensrepertoire streichen. Und damit wertvolle Vorteile verspielen: Denn Mitgefühl aufzubauen hilft uns, die Grenzen unserer persönlichen Position zu überschreiten und so unser Gegenüber und sein Denken und Handeln aus einer tiefergehenden Ebene zu verstehen .
Netter Nebeneffekt: Im Gegensatz zur Empathie, die uns durch „aktives Miterleben“ emotional Kraft kostet, triggert Mitgefühl mit der Situation eines anderen Menschen zielgerichtet Glückshormonfreisetzungen und fördert neben einer stabilen Tierarzt-Patientenbesitzer-Beziehung auch ein motiviertes Arbeitsklima.
Für die gezielte Förderung von Sympathie und Vertrauen gibt es mittlerweile eine ganze Latte sprachlicher und nonverbaler Techniken, die mit etwas Training gut zu erlernen sind. Wer gerne nachlesen möchte, dem kann ich ans Herz legen, Dr. Google zur Abwechslung mit Begriffen wie bspw. „Konvergenz der Sprache“ oder „Mirroring“ zu füttern.
Warum wird einem das eigentlich nicht an der Uni erzählt?
Man könnte an dieser Stelle sarkastisch bemerken, dass die Vermittlung von First-Day-Survival-Skills einfach nicht zu den Stärken des Lehrplanes gehört. Fakt dahinter ist, dass die Vermittlung der hier angerissenen Erkenntnisse um die Tierarzt-Patientenbesitzer-Beziehung in meinen Augen für die tägliche Arbeit wertvoller wäre als zu wissen, wie ich rein hypothetisch eine dreifache Beckenosteotomie durchführe.
Das Wissen ist da. Wissen schafft Sicherheit. Und mit Sicherheit würde dieses Wissen vielen Kolleginnen und Kollegen draußen in der Welt das Leben ein bisschen einfacher machen.
Hierzu seien auch die folgenden Artikel im VetStage-Blog erwähnt:
- Vertrauen ist gut! – Teil 1 dieses Artikels
- First-Day-Skills – habe ich die Eigenschaften, um als Tierarzt zu arbeiten?
- Emotionale Intelligenz für beruflichen Erfolg
- Kommunikation und Feedback in der Tierarztpraxis
- Kommunikation im Team
- Kommunikation mit Patientenbesitzern
Sie würden gerne mehr über dieses Thema sehen und hören?
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Das Dissertationsprojekt „Fokus Tiergesundheit – Studie zur Kommunikation zwischen Tierärzten und Tierbesitzern vor dem Hintergrund digitaler Informationsmedien“ sucht noch Umfrageteilnehmer!
Sollten Sie noch nicht teilgenommen oder Kolleginnen/Kollegen kennen, die vielleicht noch keine Stimme abgegeben haben: Ich freue mich über Ihre Einschätzung!
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Über die Autorin:
Alina Küper: Tierärztin | Unternehmerin und Gesellschafterin von www.fokustiergesundheit.de
Nach abgeschlossenem Examen 2016 hat es Frau Küper – statt wie geplant gleich in die Rinder- und Pferdepraxis – doch zunächst in die Wissenschaft verschlagen. Ausschlaggebend war die Erkenntnis, dass bei ihr in den Bereichen Kommunikation, Marketing, Betriebswirtschaft und Personalführung deutliche Wissenslücken bestanden. Mit den Erkenntnissen aus ihrer aktuellen Studie hofft sie einem größeren Kollegenpublikum einen Zugang in diesen spannenden und wichtigen Themenkreis eröffnen zu können. Parallel sammelt sie auf Unternehmensebene entsprechend praktische Erfahrungen im Bereich Produktentwicklung, Innovation und Onlinemarketing im tiermedizinischen Sektor.
*Leider ist im Bereich unserer besonderen Tierarzt-Patientenbesitzer-Beziehung nur wenig Literatur zu finden. Vor dem Hintergrund der zunehmend engen Tier-Mensch-Beziehung erscheint mir eine Übertragung der dargestellten Sachverhalte aus der Human- in die Veterinärmedizin jedoch haltbar.