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Wo Steht’s?! – Das Praktische Jahr Einer Veterinärmedizinstudierenden

Wo steht’s?! – Das praktische Jahr einer Veterinärmedizinstudierenden

Ein „Wintermärchen“…

Es ist sieben Uhr morgens, Eiseskälte. Die Sonne ist noch nicht einmal richtig aufgegangen. Ich denke sehnsüchtig an mein warmes Bett, während ich mich unter eine Kuh beuge und zum gefühlten siebten Mal versuche, das Melkgerät aufzusetzen. Mit fünf Schichten Klamotten, einem Kittel und einer Schürze macht sich das ja besonders gut.

Wenn zwölfjährige Mädchen von ihrem Traumberuf ,,Tierarzt“ erzählen, denken sie daran, kleine Kätzchen zu streicheln, Hundewelpen zu impfen und erhobenen Hauptes durch saubere, weiße Gänge zu schreiten. Um ehrlich zu sein, hatte ich diese Traumvorstellung auch mit 18 noch.
Dass Tierärzte auch bei Minusgraden um sechs Uhr morgens bereits durch die Pampa fahren, sich mit Pseudoärzten alias Besitzern herumschlagen müssen (,,Aber bei Google stand doch…!“) und eher selten sofort die richtige Diagnose stellen können; das sagt einem natürlich keiner.

Das praktische Jahr

All diese Gedanken wirbelten durch meinen Kopf, als mein praktisches Jahr anfing. Ich begann meine Rotation (das sind jene Wochen, die man an den Unikliniken verbringt) an der Kleintierklinik. Am ersten Tag begleite ich meine Betreuerin, soll schon Mal die Anamnese und allgemeine Untersuchung durchführen. Während ich mit einem zappelnden Hund kämpfe, der mich während der Auskultation anknurrt (optimal!), versuche ich mir den Vorbericht des Besitzers zu merken, die physiologischen Daten eines Hundes abzurufen und eine Differenzialdiagnosenliste zu erstellen. Alles gleichzeitig, versteht sich.
Im Vorlesungsskript las sich das so einfach!
Später stehe ich am Mikroskop und soll berichten, was ich so sehe. Hm. Zellen. Bakterien. Ein undefinierbares Etwas. Dabei sind die Prüfungen gerade erst ein paar Monate her.

Das praktische Jahr ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Feste Arbeitszeiten, Wochenddienste, Abenddienste. Wenig Schlaf, viel Arbeit, kaum Freizeit.
Mein persönlicher Mountain-to-climb war die gefühlt riesige Kluft zwischen erlernter Theorie und erlebter Praxis. Zum einen konnte ich nicht einmal mehr einen Bruchteil dessen abrufen, was ich mir vier Jahre lang Semester um Semester ins Hirn geprügelt hatte. Auch mit der zur Verfügung stehenden Literatur stieß ich sehr schnell an Grenzen. Krankheiten halten sich nicht an Symptomlisten, Referenzwerte und dergleichen. Zurzeit arbeite ich in einer Kleintierpraxis mit. Die Ärztin drückte mir Laborwerte in die Hand, stellte mich vor das Bücherregal. Ich solle eine Differenzialdiagnosenliste erstellen und überlegen, wie das Tier zu therapieren ist. Ich kam mit einem langen Zettel wieder, stolz wie Oskar, ich hatte bestimmt keine Krankheit vergessen. Jeden abweichenden Wert hatte ich nachgeschlagen, verglichen, abgewogen, was wahrscheinlich ist, was nicht. Frau Doktor warf einen Blick auf den Zettel und meinte: ,,Diese Werte können schon mal abweichen, das Tier ist gesund“.

Und ich hatte dem armen Vieh Diabetes andichten wollen!

Wie nun?!

Man steht da und fragt sich, wofür man die letzten Jahre eigentlich so geackert hat. Zumal selbst praktizierende Tierärzte immer wieder Bücher hervorholen und Krankheiten nachschlagen. Wofür also das Ganze?

Auch wenn man oftmals das Gefühl hat, die Dozenten wollten uns Studierende schikanieren (,,Malen Sie mir doch mal den Lebenszyklus des Parasiten Diphyllobothrium latum auf!“), geht es mehr darum, uns einen allgemeinen Überblick zu verschaffen. Die Veterinärmedizin ist so unfassbar vielfältig wie kaum ein anderes Fach. Nicht umsonst pauken wir laut Spiegel die meisten Stunden pro Woche. All das in vier „praktischen“ (Haha?!) Jahren zu erlernen, ist unmöglich. Aber das Studium bildet ein gewisses ,,Grunddenken“ aus, es zeigt uns, wie wir auf Fährtensuche gehen und was- rein theoretisch- möglich ist. Das praktische Jahr, die tägliche und tatsächliche (!) Arbeit in der Praxis, filtert dann die seltenen Dinge heraus und speichert die wichtigsten Daten im Kopf ab. Fällt einem nicht auf Anhieb der Name einer Erkrankung ein, so weiß man dennoch, wo sie in etwa einzuordnen und in der Literatur zu finden ist. Jeder TIerarzt, mit dem ich bisher gearbeitet habe, gab mir am Ende des Praktikums Folgendes auf den Weg: ,,Du musst es nicht wissen; du musst wissen, wo es steht!“

Die tägliche Wiederholung der Basics sorgt abschließend dafür, dass sie sich allmählich einprägen und ins Fleisch übergehen. Dann dauert eine Allgemeinuntersuchung keine halbe Stunde mehr, sondern zwei Minuten und man kann auf Anhieb sagen, ob die Herzfrequenz, die Körpertemperatur oder die Größe der Lymphknoten normal sind. Und wenn nicht? Na ja, ich weiß ja, wo es steht…

 

Über die Autorin:

Ilona Wedel / Foto privat

Ilona Wedel | Tierärztin
Geboren 1994, studiert Veterinärmedizin an der Freien Universität Berlin und absolviert aktuell das praktische Jahr. Nach ihrem Abschluss möchte sie ein Zweitstudium in Wirtschaft und Politik dranhängen – der praktischen Veterinärmedizin wird sie aus mehreren Gründen den Rücken kehren. Entsprechend kritisch beurteilt sie sowohl das Studium an sich, als auch das Leben eines Veterinärmediziners außerhalb des Campus‘.

 

Gast

Hierbei handelt es sich um einen Gastartikel. Informationen über den jeweiligen Autor / die jeweilige Autorin entnehmen Sie bitte dem Text.

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